PAT ROSENMEIER
 

„Strictly Flowers“

Strictly Flowers klingt als Titel für ein Leinwandbild geradezu trotzig, im Umfeld eines Diskurses, der aktuelle Gesten des geosozialen Ganzen oder mindestens neue Formen der Partizipation bei den internationalen Kunstdarbietungen auf seine gesellschaftliche Wirksamkeit überprüft und ganz klar appellativen und plakativen Inhalten gewidmet ist. Die Form erscheint nachrangig. Wenn Indigo die Botschaft ist, können die farbgetränkten Tücher hängen wie und wo sie wollen. Jede Kunstgattung, die sich mit ihren Immanenzen, ihren historischen Fragestellungen beschäftigt, scheint dagegen desavouiert, dräut der no-go Stempel, ganz besonders der Malerei. Ein Schicksal, das sie seit sie tot ist immer wieder ereilt. Alle Blumenmotive der Moderne sind seit Monet gemalt. Aber anders als die Dingproduktion orientiert sich künstlerisches Handeln nicht am Markt, nicht an der Nachfrage oder zeitlichen Rezeptionsvorlieben. Künstlerisches Handeln folgt der Unabwendbarkeit einer persönlichen Selbstbeauftragung. Sprünge, Brüche, Fehlversuche oder Wiederholung eröffnen dieser Triebfeder ihre Qualität – auch die der Diskursorientierten.

Willem de Kooning, mit einer der großen Wegbereiter der non-objective-art wird mit der Bemerkung zitiert: „Es ist wirklich absurd, heutzutage ein Abbild, etwa eines Menschen, mit Farbe zu schaffen, wenn man es sich überlegt … Aber plötzlich war es noch absurder es nicht zu tun …“ Was ihn wie seinen Malerfreund Jackson Pollock anhaltend bewog, Frauen, Körper und Köpfe in ihr abstraktes Bilder-Werk zu integrieren.

Pat Rosenmeier hält mit ihren Bildprogrammen beharrlich an den Möglichkeiten der Malerei fest. In erster Linie an der abstrakten Malerei, die aber fast immer an Gegenständlichkeiten andockt. Daraus speist sich ihr abstrakter Realismus.

Mit ihrer neuen Serie der Strictly Flowers könnte man meinen, würde sie an ihre Magnolien anknüpfen, mit denen sie vor 10 Jahren debütierte. Aber nur vordergründig. In Rosenmeiers durch und durch abstrakter Malerei drängen sich erneut florale Assoziationen auf, mal aufreizend deutlich, mal ohne den Bildtitel unsehbar, reine Behauptung. Wie immer ganz nah an der Überschrift ihrer gesamten Malerei – appear and disappear.

Nach ihrer bis dahin umfangreichsten Serie der Mag­nolien (2006 – 2009), wähnte man sich anschließend bei arktischen Inselgruppen, den sealands (2010), Flüssen und Deltas (2008), Tierwelten unter und über Wasser wie bei Netptun traurig (2010 – 2011) oder der Rückkehr der Maden (2011 – 2013). Erst bei den Derwischen (2015 – 2016) versagen einheitliche und vordergründig gegenständliche Konnotationen.

Pat Rosenmeiers Grund zu malen ist das Malen selbst, die Lust Farbe auf Leinwand zu verteilen. Oder wie Frank Stella meinte: „I wanted to get the paint out of the can onto the canvas.“ Punkt! Sie folgt spontanen und zufälligen Anregungen – Abbildungen in Zeitschriften oder Katalogen, Einladungskarten zu Kunstausstellungen, Luftbildern oder Werbeprospekten. Nie gesucht – immer gefunden. Sie folgt keinem gängigen Motiv-Vorwurf, also einem Bild prägenden Gegenstand, einer Erzählung, einem Sujet oder einem Kompositionsschema. Ihre Arbeitsweise ist der Impuls der Malerei als Bewegung, als ausladende, körperliche Geste. Ihre Werkzeuge sind eher grob, nicht immer nur Pinsel – wie auch bei den meisten amerikanischen abstrakten Expressionisten, den europäischen Tachisten und Informellen einst.

Rosenmeiers Bilder entstehen durch den Prozess der Malerei selbst und sind irgendwann fertig – mal schneller mal langsamer. Eine rein visuelle und intuitive Entscheidung. Wo es kein festgelegtes Ziel gibt, kann es auch keinen Zielstrich geben. Für Pat Rosenmeier ist der Zeitpunkt dann gekommen, wenn das „Bild mit ihr spricht“.

Bis zu den Derwischen war Rosenmeiers Malerei von den alchemistischen Effekten einer Nass-in-Nass-Technik bestimmt. Der stark verflüssigte Acryllack bildete üppige Pfützen und Seen, Rinnsale oder Gitter, feinste Verästelungen bis hin zu aquarellhaften Farbverläufen, immer als dünner Film auf der Leinwand. Rosenmeier kennt die technischen Möglichkeiten ihrer Malweise und kann die alchemistischen oder physikalischen Effekte auf der am Boden liegenden Leinwand kontrolliert steuern, auch wenn der Zufall ein gern gesehener Gast ist. Immer tritt eine Zwangspause ein, wenn die Farbe in einem akzeptierten Zustand abtrocknen soll. In diesem Schwebezustand zwischen noch flüssig, instabil und Aushärtung kristallisieren feinste Strukturen aus, bevor es weiter gehen kann – oft Tage. Der Prozess ist langsam.

Von den ersten, fast aquarellierten Magnolien zu den Derwischen und den aktuellsten Strictly Flowers wird die Bildoberfläche plastischer, bisweilen klumpiger. Rosenmeier recycelt immer wieder eigene Bilder. Es ist das Ergebnis einer dezidiert radikalen Selbstkritik. Vor den Derwischen hat sie eine gesamte Jahresproduktion verworfen und die Gemälde mit frischer Grundierung neutralisiert. Was ihrem Auge – auch nach Jahren – nicht Stand hält wird gelöscht. Dabei hinterlässt jede Übermalung Textur. Eine Topografie der Revision. Früher musste sie die Leinwände der gewünschten Oberfläche wegen abspannen, jetzt profitiert sie von den Unebenheiten der übermalten Bilder. Ihre radikale Haltung gegenüber der eigenen Arbeit hat das bisherige Œuvre extrem begrenzt – keine hundert Werke in zehn Jahren.

Bei den Bildtiteln verfährt die Deutsch-Kanadierin wie bei ihrer Bildfindung – rein assoziativ – sie findet sie oft lange nachdem die Bilder gemalt sind. Ihre Titel sind freilich nur ein ganz persönliches Angebot und somit eine Chance die Betrachter in der Unendlichkeit der Abstraktion in eine Richtung zu lenken – What you see is what you see.“ (Frank Stella)

Den gestischen Figuren auf grau-weißem Grund folgen abstrakte all-over Malereien, die die dynamischen Rhythmen der Derwische auf die gesamte Fläche des Bildes ausweiten. Nach über einem Jahr, im Februar 2017 lässt sie eine erste Leinwand gelten. Es ist ein Übergangsbild, das erste der aktuellsten Serie der Strictly Flowers, noch weit davon entfernt so zu heißen.

Auf einer unruhigen violett-grauen Farbbasis, die zweifelsfrei über ein schwarzes Vorgängerbild gelegt wurde, tost ein Farbtornado aus der Mitte heraus fast über das gesamte Bild. Der Farbknäuel schwebt aber nicht, wie die Figuren bei den Derwischen, sondern ist mit einem Rüssel zum rechten unteren Bildrand hin geerdet.

Das kurz darauf folgende Bild ist bestimmt von einer Farbzweiteilung – ein leuchtendes Pink, das sich um drei leicht versetzte rundliche Zentren blasser werdend in ein Weiß verliert im oberen Drittel und ein ebenso leuchtendes Grün als Sockel im unteren Teil des Bildes. Drei aus dem Grün emporstrebende Verti­kale verbinden Oben und Unten.

Neben der Farbteilung mit seiner changierenden Intensität überwuchert ein kantiger Duktus die gesamte Leinwand, ein bisher im Werk der Malerin nicht gesehenes technisches all-over. Erstmals sieht man Leuchtfarben in Pat Rosenmeiers Gemälden und man erkennt keinen Pinselstrich mehr. Vielmehr scheinen die Farben einem Rakelverfahren ähnlich auf der Leinwand geschoben und gezogen oder „gepatscht“ zu werden. Überwiegend kurze Bewegungen, deshalb der kantige Eindruck, nur gelegentlich längere Schwünge. Das Auge kann sich nicht ausruhen. Es wird von einer Stelle zur nächsten durchgereicht und dennoch vermittelt sich ein Modus.

Strictly Flowers #3 verweigert noch – allein schon durch seine Farbigkeit – die im Titel angelegte Blumenassoziation. Schwungvolles Grau und Schwarz mit weißen Schlieren und einem sehr auffälligen aber homöopathisch dosierten, leuchtenden Pink im Zentrum, bestimmen die Farbskala. Kaum in der Pflanzenwelt zu finden. Aber die Bildstruktur ist wie bei allen Bildern der Serie ähnlich. Ein ein, zwei, oder dreiteiliges Zentrum im oberen Bilddrittel wird über vertikale Achsen, „Stängel?“ mit der Basis darunter verbunden.

Strictly Flowers #4 überwältigt mit Blautönen in die Pink und Grün eindringen. Zwei dicht aneinander liegende Zentren oben sind ebenso mit einem hellen, fast weißen Linienrinnsal outline-artig gefasst, wie die zwei Zentren im unteren Bilddrittel. Wieder zwei leichte vertikale Verbindungen. Durch die Linien wirkt das Bild sehr filigran, eher gezeichnet als gemalt und erinnert stark an die überlängten Gestalten Giacomettis. Man ist jederzeit bereit zwei Gesichter auf langen dürren Hälsen zu sehen. Aber es könnten auch die Schwertlilien im Garten der Künstlerin sein.

Ein weiteres Bild noch und der Titel Strictly Flowers ist gefunden – selbstbewusst und ohne Angst vor Schubladen.

Im Gegenteil. Pat Rosenmeier hat eine weitere dominante modale Bildstruktur gefunden, die sie in weiteren Versuchsanordnungen variiert. Die kräftigen Farben sind in viele einzelne Nuancen aufgespalten, die innerhalb eines Bildes zu einer wechselnde Dichte und Tönung springen, einem flimmernden Mosaik gleich, besonders bei Strictly Flowers #9.

Ab #10 stiehlt sich die florale Assoziation leise davon. Appear and disappear.

Mit den Strictly Flowers präsentiert Pat Rosenmeier Angebote zu einer aktuellen Malereidebatte über Abstraktion und abstraktem Realismus – in Jetzt-Farben. Die Malerei lebt, solange Bilder gemalt werden.

Veit Görner