PAT ROSENMEIER
 

… da geschah ihr „Magnolie“

Früh schon, 1919, hat Gottfried Benn in seiner Schöpferischen Konfession das einzige Trachten seines artistischen Unternehmens offenbar gemacht: Ich finde nämlich in mir selber keine Kunst, sondern nur in der […] Auseinandersetzung mit dem einzigen Problem, vor dem ich stehe, es ist das Problem des südlichen Worts.
Doch was mag dies sein – jenes dunkelschimmernde, »südliche Wort« –, welches das einzige Problem der künstlerischen Auseinandersetzung sein soll? Wie kommt es zustande? Was bewirkt es?

Benn fährt fort: Wie ich es einmal versucht habe darzustellen in der Novelle „Der Geburtstag“ (Gehirne); da schrieb ich: „da geschah ihm die Olive“, nicht: da stand vor ihm die Olive, nicht: da fiel sein Blick auf eine Olive, sondern: da geschah sie ihm, wobei allerdings der Artikel noch besser unterbliebe. Also, da geschah ihm „Olive“ und hinströmt die in Frage stehende Struktur über der Früchte Silber …
»Die Olive«, nein, »Olive« also als ein »Südwort«. Losgelöst von aller Grammatik und jedem Kontext, geradezu aus Syntax und Semantik herausgebrochen. Das Wort kommt nicht zustande, ist nichts Gemachtes, sondern es geschieht, abrupt, unvorhergesehen.
»Olive« als Geschehnis, als Ereignis, als unvermittelt in die Wirklichkeit tretendes Wort- und Klangbild. Als irrational assoziatives Gedankenbild (– irrational gerade deshalb, weil es in keinem logischen Bedeutungszusammenhang mehr verankert ist noch in einen solchen eingebunden wird). Benn zufolge gelingt es allein mit diesem, jegliche vorgeprägte Bedeutung oder unbedacht hingenommene Alltagszuschreibung aufzusprengen und ungeahnte, bald strömend fließende, bald wagemutig sich festigende Zusammenhänge aufzutun.
Ein solches Wort als ereignishaftes Geschehnis ist Offenheit besthin. »Olive«. Mich sensationiert eben das Wort ohne jede Rücksicht auf seinen beschreibenden Charakter rein als assoziatives Motiv und dann empfinde ich ganz gegenständlich seine Eigenschaft des logischen Begriffs als den Querschnitt durch kondensierte Katastrophen.
Das Wort, das »Südwort« als Kondenz oder immense Zusammenballung, welche implodierend die gesamte, eben durch logische Begrifflichkeit verhärtete Wirklichkeit in Trümmern zerrinnen lässt und dennoch gleichsam alles Gewesene, ob nun Freude, Trauer, Glückliches oder Schrecken, in sich aufzunehmen und auszudrücken vermag.
Nicht länger ist das Wort zweckdienliche Tatsachenbeschreibung. Es wird hingegen existential. Es beschreibt keinen Zusammenhang, es schafft einen Zusammenhang, mehr noch, es ist kein Platzhalter für diesen, das Wort selbst ist der Zusammenhang.
Demgegenüber sieht Benn das neuzeitliche, rationale Bewusstsein als eine Sicherheit und Weltausdeutung vortäuschende, letztlich aber sinnlos bleibende Quälerei, gegen deren unmenschlichen Ordnungs- und Klassifizierungswahn er vehement andichtet: Und da ich nie Personen sehe, sondern immer nur das Dasein, da ich keine Kunst kenne und keinen Glauben, keine Wissenschaft und keine Mythe, sondern immer nur die Bewußtheit, ewig sinnlos, ewig qualbestürmt –, so ist es im Grunde diese, gegen die ich mich wehre, mit der südlichen Zermalmung, und sie, die ich abzuleiten trachte in ligurische Komplexe bis zur Überhöhung oder bis zum Verlöschen im Außersich des Rausches oder des Vergehens.
Benns überführt die »südliche Zermalmung«, ausgelöst durch das entfesselte, rauschhaft auf- oder abwallende Wort, in größere assoziative Zusammenhänge, die er den »ligurischen Komplex« nennt. Indem er die Wirklichkeit zerfallen und außer sich sein lässt durch Worte, Wortgruppen oder Wortstrukturen, die ganz bei sich sind, entfaltet er für Blick und Gedanken ungekannte Gefilde.
Das Gedicht, das Kunstwerk beschreibt keine Welt mehr, es macht Welt, ist Welt.
Nun nähern sich vielleicht schon Worte, Worte durcheinander, dem Klaren noch nicht bemerkbar, aber die Flimmerhaare tasten es heran. Da wäre vielleicht eine Befreundung für Blau, welch Glück, welch reines Erlebnis! […] man denke dies ewige und schöne Wort! Nicht umsonst sage ich Blau. Es ist das Südwort schlechthin, der Exponent des „ligurischen Komplexes“, von enormen „Wallungswert“, das Hauptmittel zur „Zusammenhangsdurchstoßung“, nach der die Selbstentzündung beginnt, das „tödliche Fanal“, auf das sie zuströmen die fernen Reiche.
Von fernhin bricht durch das Werk inmitten der trüben Wirklichkeit eine andere Welt auf. Mit dem Blau des Mittelmeers, des europäischen Südens, darin – für den eigentlich kargen, nordischen Insulaner Benn stets der Sehnsuchtsort oder treffender der unentwegt erträumte Sehnsuchtszustand.
»Blau« wie »Olive« sind Wallungsworte, die mitunter hinter dem aufgetrennten und durchstoßenen Vorhang der Alltagswirklichkeit ganz anderes erblicken und erdenken lassen. Womit das Blau des »ligurischen Komplexes« selbst das Geschehnis als verlockende Bläue oder das in südlicher Fülle aufscheinende Bläuende ist, welches die Welt verflüssigt und im aufbrandenden Rausch der Assoziationen und Farben von neuem erstehen lässt.
Von diesem phänomenalen Geschehen des Wortes legt Benn Zeit seines Lebens mit allen Verwerfungen Zeugnis ab.

Und Pat Rosenmeier? Ihr geschah Magnolie.

Am Anfang ist es eine Magnolie. Ein Magnolienzweig, ein unverhofft mitgebrachtes Geschenk, plötzlich im Atelier.
Zunächst noch mit zart verschlossener Blüte, saftig und ausladend fleischlich sich öffnend, weiß erblühend, um schließlich, ankündigt von leichtem Braun an den Blütenrändern, ausdörrend über Braun zu Grau zu verwelken.
Prägend war diese Erfahrung, so unscheinbar sie vorkommen wollte. Zeigen sich die Dinge doch zumeist erst im Augenblick ihres Verfalls. Schmerzlich treten sie ins Bewusstsein und es wird offenkundig, was man verliert. Im Augenblick des Verlustes vollendet sich das Da(gewesen)sein der Dinge, wird erkennbar, was sie auszeichnete und auszeichnet. So schwer zu akzeptieren ein solcher Verlust auch ist, er vervollständigt erst die Fülle, die einer Blüte, einem Gegenstand, einer Person zu eigen war. Wie Benn sagt, die Höhe braucht das Vergehen oder die Blüte das Verwelken. Nur gemeinsam bringen sie einander hervor.
Malerisch ist so für Pat Rosenmeier »Magnolie«, was für Benn »Olive« war – ein verheißungsvolles Südwort oder Südmotiv, wenn man so will. Ein Motiv, welches sie nicht einfach nach- oder abbildet. Vielmehr ward es ihr zum Auslöser, die gegenständliche Erscheinung zu durchstoßen und die Farbe auf der Leinwand selbst aufblühen, wogen, strahlen und ebenso wieder vergehen zu lassen.
Und dies nicht auf verschiedenen Bildern, sondern stets auf ein und demselben Bild, das derart und immer neu in voraussetzungsloser Situation das zyklische Werden und Vergehen des Lebens als untrennbares Geschehnis vor Augen bringt, aus nichts als der bloßgelegten Farbe als Ganzes erfahrbar macht.
Bisweilen drängte sich hierin der allzu offensichtliche Vergleich zu Georgia O’Keeffe auf, doch Rosenmeier folgt keinem verschlüsselten, erotisch oder sonst wie aufgeladenen Symbolismus. Ihre Bilder symbolisieren weder Magnolien noch etwas anderes. Viel unmittelbarer, viel grundsätzlicher ist ihr Zugriff auf die Magnolienblüte. Ihre frühen Bilder sind darum Magnolien, da sie phänomenal deren Werden und Verenden entsprechen, diese ebenso durchleben.
Denn was für Benn das Wort war, ist für sie die Farbe. Jener dunkle, ungestalte Urstoffe, dem alles Licht und Gestalthafte ein ums andere Mal abgerungen werden müssen.

Und so wie Benns artistisches Sensorium mit den feinsten Flimmerhaaren zur lyrisches Ertastung von existentialen Phänomenen ausgestattet ist, scheinen auch Rosenmeiers Pinsel und Malwerkzeuge über dergleichen sensible Rezeptoren zu verfügen.
Der Beginn ist ein entrückt strömender. Eine rasch hingeworfene Vorzeichnung, die mit grafisch ausgehärtetem Gerüst ersten Halt auf der leeren Leinwand verleiht, überschwemmt sie mit einer zunächst noch ungebändigten Flut an Farben, die sich aufgepeitscht auf der Fläche ausbreiten, aufeinander prallen oder ineinander spülen, bis Rosenmeier die tosenden Farbgewässer umsichtig und mit gewandten Zugriff agil in Form streicht oder rakelt.
Dann kommt das Warten. Denn so schnell wie die aufgewirbelte Farbe auf die Leinwand wogt, so lang braucht es, bis sie sich beruhigt und sich trocknend setzt wie Sediment oder marmorierte Emaille. Ein jedes Bild besitzt solche Gezeiten von Auflaufen und Ablaufen der Farbe, die ganz erstaunliche Formationen hervorbringen.
Bemerkenswert ist hierin, dass Rosenmeier malerisch vollkommen ohne Zeichnung auskommt und einzig auf die Eigenwilligkeit der Farbe vertraut. Denn sobald die fließende Farbe antrocknet, bilden sich lineare Grenzen zwischen den einzelnen Farbzonen, die sich auf der Fläche allein durch ihre gegenläufigen Binnenkontraste selbst konturieren und so zu äußerst markanter Form gelangen.
Im Hinblick auf ihre Farbwahl lässt sich allerdings festhalten, dass es nicht überbetonte Komplementär- oder demonstrative Primärkontraste sind, derer sie sich bedient. Vielmehr folgt sie einer diskreten und sensiblen Halbtonigkeit – etwa von einem fast schwarzen Nachtblau zu gleißendem Weiß oder von zartem Rosa zu einem mehr und mehr vergrauenden Schwarz –, mit welcher sie durchaus in musikalischem Sinn chromatisch modulierend das subtile Farbspektrum des Bildes aufspannt.

Ein Bild wie Hurricane Magnolia (2006) lässt dabei die titelgebende Magnolie zwar deutlich erscheinen, doch so deutlich nun auch nicht. Der auf einen Wirbelsturm weisende Titelzusatz ist in vollem Recht gegeben, denn das Bild befindet sich wahrlich in einer Art von gefrorenem Sturm. Nur der augenförmige Blütenkelch bietet wie das stillblickende Auge eines Sturms einen Haltepunkt, um welchen herum zwar keine Natur, dafür aber umso eindringlicher Farbgewalten losbrechen.
Rosenmeier hält das Bild so in einer alchemistischen Schwebe zwischen motivischer Gegenständlichkeit der noch oder schon erkennbaren Blüte und der reinen Stofflichkeit der wogenden Farbe. Materie und Form, Ungestaltes und Gestalt fließen ineinander, werfen sich am einen Ende auf, um sogleich am anderen wieder zu zerrinnen.
Zudem verbindet sich mit der flächigen Farbstofflichkeit ein weiteres Moment, denn die durchlichteten und teils transparenten Farblagen erzeugen hin und wieder den Eindruck von wirklichem Stoff, die eine immateriell materielle Gestalt umspielen wie vom Wind aufgebauschte Gewänder einen Körper. Auch dies eine immense Belebung der Farbmaterie, die weit über die bloße Wiedergabe einer Magnolienblüte hinausreicht.
Es ist wie auf Magnolia with Ghost (2007) wirklich ein geisterhafter Zwischenzustand, der Rosenmeiers Bilder zu eigen ist. Nicht buchstäblich sieht man eine Blüte, sondern umfassender ihr »Blütesein« mit allem Werden und Vergehen. Die malerische Form entspricht darin mehr einer Ahnung und so wundert es kaum, dass die Bilder nicht figurativ erstarren. Vielmehr besitzen sie eine ungebundene Offenheit, die reicher ist als ein buchstäblich gezeigter Gegenstand. Insofern sind die Bilder nicht figurativ. Was sie hingegen sind, ist körperlich. Im Übermaß. Farbkörperlich – eben wie der anmutig schroffe, aufgeriebende Geisterkörper Magnolia with Ghost irgendwo zwischen verwaschendem Sediment und glänzendem Tropfstein. Grund und Figur sind nicht mehr unterscheidbar, beide schwingen unentwegt ineinander, lösen sich hier auf, materialisieren sich dort.

Eine weitere Besonderheit betrifft die Gesamterscheinung der Bilder. Zwar richten sie sich massiv großformatig und hochragend vor dem Betrachter auf, doch sind sie auf dem Boden liegend gemalt worden. Womit sich auch beim Schauen ein merklicher Perspektivwechsel auftut. Erscheinen sie schließlich trotz all ihrer Frontalität nach wie vor wie Aufsichten oder aus der Luft betrachtet. Es liegt darin eine Flächenhaftigkeit von Rosenmeiers Bildern begründet, die sich zweifelsohne mit der flachen Weite der nordamerikanischen Topografie verbinden ließe – gerade, wenn man als Pilotin ohnehin gewohnt ist, die Welt beinahe schon von außen in Aufsicht zu betrachten.
Amerika kennt zwar ebenfalls schwindelerregende Höhen, doch die grundlegende Erfahrung der amerikanischen Landschaft ist jene von flachreichender Weite. Und so ist Rosenmeiers Magnolien damit immer auch die Anmutung einer ausgebreiteten Farblandschaft mitgegeben.
Diese topografische Flächenhaftigkeit findet sich ausdrücklich auf einem Bild wie Snattered Magnolia (2007). ‚Snattered‘, irischer Slang für die derangierenden Folgen von übermäßigem Alkoholgenuss, trifft genau, denn die Magnolie wankt spürbar. Weder ist sie klar im Grund eingebettet noch harsch vor diesen geblendet. Sie taumelt und schwebt zwischen den Sphären des Bildes. Zwar steht sie klar in ihrem Kontur, doch von innen her ist sie angegriffen und verbeult angeschlagen. Allein die kartenhafte Topografie der netzförmigen Abläufe des Grundes gibt ihr Halt, als folgte sie unsichtbaren Koordinaten – wie ein Dubliner Trinker auf seinem mäandernden Heimweg.

Doch mit einem Mal schlängt die bislang lichte Farbigkeit um in Dunkelheit. Black Magnolia #10 Undine (2008) beginnt als Magnolie, noch ansatzweise erkennbar am Blütenauge, doch das Gewächs versinkt in düsteren Gewässern.
Das gesamte Bild versinkt in Düsternis, einzig mit einigen licht schimmernden Partien wie eine Erscheinung am Grunde eines Sees oder des Meeres, deren Verlockungen die Schwärze aufreißen. Fast als sei Rosenmeiers Wasserfrau eine Wiedergängerin des ominösen Mann mit Goldhelm.
Das Bild ist dabei überzogen von einem dichten Gewebe aus ablaufenden oder verrakelten Farbschlieren, die wie Schlingpflanzen die Leinwand überwuchern. Anmut und Bedrohlichkeit gehen hier in Eins.
Und wichtiger noch, Rosenmeier geht ins Wasser. Bewusster als in den ersten Magnolien identifiziert sie hier ihre bildnerischen Mittel mit den thematischen Inhalten des Bildes. Sie zeigt kein Wasser, sondern lässt die Farbe dazu werden.

Ähnlich wie Delta #1 (2008). Ein unergründlich tiefer Bildraum in Nachtblau, der von feinsten, silbrig strahlenden Farbrinnsalen durchzogen ist, die transparent ausfließen, sich krustig festsetzen oder in dunklem Nichts auflösen.
Rosenmeier betitelt ihre Bilder, nachdem sie fertig gestellt sind. Zu bedeutsam ist ihr der unbeeinflusste Umgang mit der Farbmaterie, die sich frei entfalten soll, ohne einer vorgefassten Intention hörig zu sein. Und stellt man vor Delta #1 fest, dass sich die ausufernden, irisierenden silbernen Schlieren tatsächlich bündeln, sich also fassen (‚ufern‘) und zu einer Art von (Farb)Flussdelta hinströmen.

Rosenmeier vereint darin zwei Gegensätze, um einen Begriffsgedanken von Gilles Deleuze und Félix Guattari zu entlehnen: zum einen den glatten, uferlosen, flüssig und flächig ausgebreiteten Raum, zum anderen den gekerbten, aufgeworfenen, krustigen oder gefassten Raum. Fortwährend spannen sich ihre Bilder von ungestalter Glätte zu gestalteten Einkerbungen (Ausformungen).
Was beispielsweise auch auf Abstract Painting #3 Mississippi (2008) sichtbar wird; mit seiner golden aufleuchtenden Formation aus Kupfer, welche die bleierne Schwärze des Grundes durchstößt. Dies ein Bild, das ausdrücklich auf Rosenmeiers eigene Naturerfahrung zurückgeht, überflog sie doch unzählige Male den höchst altöl- und schwermetallbelasteten Mississippi, dessen verseuchtes Wasser bei Tage strahlend erscheint wie Gold.
Es sind Bilder wie diese, welche die sich anschließende Sealands-Serie hervorbringen, die aus dem Aufeinandertreffen rauschender Ströme und ruhender Zonen regelrechte Farbküsten aufscheinen lassen – mit porösen Stränden, Brackwassern und anstelle von Salzwiesen körnigen Pigmentfeldern wie Sealands #5 Deepwater Horizon (2010), das die Ölpest im Golf von Mexiko desselben Jahres zum Bildanlass nimmt: in blauem Grund breitet sich das rötlich leuchtende Kupfergold aus, bildet ausschwemmende Lachen und Inseln, trocken krustige Zonen und sich verschlingende, dem Blau eingebettete Bänder.
Es sind bei aller Mahnung hintersinnige Bilder, denn trotz der vordergründigen Umweltkatastrophen kommen sie schon einer Apotheose des verseuchten Flusses oder des ölverpesteten Golf von Mexiko gleich. Die Verklärung liegt sowohl in der Anmutung des Goldes sowohl als überweltlicher, außerirdischer, göttlicher Farbe als auch in der absurd gewieften Vereinigung vom tatsächlichen Öl im und auf dem Wasser mit der unnatürlichen Ölfarbe auf der Leinwand. Als ergäbe die Addition von Öl + Öl = Gold. Fast wie in der griechischen Mythologie, in der die Verwandlung in andere Materie Fluch (Midas) sein kann, doch ebenso Erlösung. Das tote Wasser nun erfährt im malerischen Gold eine unerwartete Verwandlung, die alle Verschmutzung in schmerzend lebendige Reinheit verklärt.


Rosenmeiers Nine Gold führen das Gold nun als tatsächliches Goldpigment noch weiter hinauf in himmlische Sphären wie man sie von mittelalterlichen Goldgründen und Ikonen her kennt. Bilder wie Golden Magnolia #4 Blind Spot (2008) oder Golden Magnolia #8 Mycel (2009) erscheinen wie ein Einbruch eines lange nicht gekannten Himmlischens in die irdische Sphäre. Sie wandeln die Meereslandschaft in reines Licht – darin sind sie durchaus Yves Kleins Versuchen, Transzendenzerfahrungen herzustellen mit monochromen Arbeiten aus Feuer und Gold, vergleichbar, aber im selben Maße Rembrandts geballten Lichtklumpen des Spätwerks.

Das Gold ist hier das Resultat einer verklärenden Verwandlung in der Malerei, einer reinigenden Vollendung der irdischen Dinge wie der subjektiven Erfahrung und Empfindung, die sich erinnernd zusammenzieht und in einem einmaligen Bildmoment komprimiert.
Doch ebenso wie Rosenmeier mit der direkten Naturerfahrung umzugehen weiß, ist sie mit der Kunstgeschichte vertraut. Doch bekümmert sie sich malend wenig um ihre Eindrücke und historischen Vorgänger. Mehr sind es gewisse, empfundene Stimmungen und Sinneseindrücke von einer Landschaft oder einem Bild, die sie unbewusst bewahrt.
Wichtiger ist ihr der unverstellte Umgang mit der Farbe selbst. Natur und Kunst sind ihr Phänomene, welche sie in der Farbe phänomenal nach(er)lebt. Denn, um auf einem Bild bestehen zu können, muss eine weltliche Erscheinung malerisch geradezu ‚entwurzelt‘ werden – das ist beispielsweise die Unnatürlichkeit des Goldes. Auf der Grenze von Anschauung und Erinnerung muss sie wiedererschaffen und zu etwas bildnerisch Gegenwärtigem gewandelt werden. Naturhaft muss sie aus der Farbe selbst empfunden sein. Empfinden und Malakt fallen in Eins.

Bedrückend offenbar wird dies in ihrer jüngsten Werkreihe Neptun traurig (2010 –).
Rosenmeiers Palette changiert zwischen polarkühlem, weißem Gleißen und leuchtendem Ultramarin, die wie auf Neptun traurig #1 (2010) wässrig transparent zerstäuben oder mit feinsten Adern einander durchdringen, schwerelos sich auf die Leinwand legen und gravitationslos wogen mit einer tiefen, unterhalb der Bildmitte aufblickenden Augenformation als alleinigem Haltepunkt. Allerdings kehrt somit in Bildern wie diesen, nimmt man etwa auch das nach Fellinis Film benannte Neptun traurig #5 Julia und die Geister (2011) hinzu, das schemengleiche Gestalthafte wieder. Aus den Gischt- und Farbnebeln lösen sich einzelne oder mehrere Gestalten, die als geisterhafte Erscheinungen den Bildraum durchstreifen, einmal deutlich zu erkennen sind, um sich sogleich wieder in farbige ‚Luft‘ aufzulösen.
Dieses Vermögen, malerisch Leben erstehen und wieder vergehen zu lassen, singuläre Bildsituationen zu schaffen, die ganze Lebensspannen umfassen, in sich einschließen und doch dem Blick freigeben, ist eine der wunderbarsten Qualitäten von Rosenmeiers Malerei und auch wahrlich die existentialste.
Drücken ihre Bilder doch beinahe wie in einem hellwachen oder hellsichtigen Traum, indem sie selbst zu naturhaft empfundenen Phänomenen werden, die tiefe, schrankenlose, mythenalte Fremdheit zwischen dem Menschen und der Welt aus, um nochmals mit Benn zu sprechen. Eine Fremdheit, die jedes Leben durchzieht, denn wie oft empfindet man sich als unbeteiligter Betrachter, an dem das Leben nur so vorüberzieht, denn das große Ganze bekommt man ohnehin nie in den Blick.
Rosenmeiers Bilder nun mit ihrer geisterhaft traumhaften Anmutung setzen genau dort an. Eine vereinzelte Wahrnehmung – eine Blüte oder eine Landschaft – nehmen sie unscheinbar und ausschnitthaft, brechen sie aus der verrauschenden Zeitlichkeit heraus und entwinden ihr hingegen einen vollkommen eigenen Rausch, der ausufernd und aufsprengend, stürmend nur sich kennt, doch im selben Augenblick das kondensierte und zuhöchst gesammelte, allumfassende Drama jeder Existenz aufblühen und vergehen lässt.

In dieser Offenbarmachung liegt die enorme Möglichkeit, die Pat Rosenmeier dem Betrachter darbietet, um die Spannen des Lebens zu erfahren, zwischen Festem und Flüssigem, Dunklem und Lichtem, Gewesenem und mitunter Kommendem – zwischen den Dingen sein, inmitten der gegenstrebigen Farbgezeiten und sei es im »ligurischen Komplex« oder in Neptuns Zwischenreich.
Da geschieht uns Magnolie und die Bilder werden Welt – sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende entfallen ihrem Flug.

Christian Malycha