PAT ROSENMEIER
 

Alchemistische Abstraktion

Pat Rosenmeier im Gespräch mit Hendrik Lakeberg über die Schwärze in der Malerei Rembrandts, Kandinskys unendliches Blau und die Sehnsucht nach dem perfekten Bild.

Hendrik Lakeberg Gibt es für Dich eine Art Kontinuität in der Kunstgeschichte, in der du dich sehen würdest?

Pat Rosenmeier Ich habe Kunst studiert, so wie andere Mathematik und natürlich kennt jede Forschung, auch die künstlerische, ihre ungeklärten Fragen. Ich bin stärker an der Form als an den Inhalten interessiert. Ich will mit meiner Malerei keine realen oder surrealen Geschichten erzählen, das ist eine andere Abteilung. Mich interessiert die reine Malerei, die alchemistische Abstraktion. Natürlich gibt es Kontinuitäten in der Kunstgeschichte. Mich faszinieren die unformulierten Stellen bei Tintoretto und später die bei Velázquez und Rembrandt, also nicht das eigentlich Bild, die Erzählung, sondern die Zwischenräume, wo der Pinsel kurz vorbeigehuscht ist. Bereits da beginnt die Abstraktion. Turners Himmel, viel von Ensor, die mutigen Pointilisten wie Monet, auch Segantini. Max Ernst hat irre abstrakte Strukturen auf seinen Bildern.

Im Zusammenhang mit deiner Malerei ist schon mehrfach auf Rembrandt, aber auch auf Jackson Pollock verwiesen worden. Wo liegt die Verbindung zu deinen Arbeiten?

Da gibt es keine Verbindung. Bei Rembrandt interessiert mich die Schwarzmalerei, die Malerei der Dunkelheit. Details einer gegenständlichen Welt anklingen zu lassen, obwohl sie fast nicht mehr sichtbar sind. Bei Pollock interessiert mich das kontrolliert Zufällige.

Woher kommen deine Motive?

Sie springen mich an. Die Magnolie war ein Geburtstagsgeschenk meiner Schwester, schöner Zweig, tolle Blüte. Sie stand fast zwei Wochen in meinem Atelier, erst geschlossen, eine frühe, weiße Sorte. Mit der Zeit wurde sie an den Rändern braun. Das musste ich einfach malen und es hat mich auch ganz schön lang beschäftig und natürlich immer wieder gefreut. Mit dem einfachen Motiv konnte ich ziemlich viele malerische Fragen angehen. Es gibt keine inhaltliche Vorgehensweise. Ich sehe Bilder, in Zeitungen, Magazinen oder sonst wo. Die Auswahl, was ich davon nehme ist ganz intuitiv. Manchmal geht das nur einmal, wie bei Dornröschen. Manchmal mutiert es auch von einer Form in eine andere. Der Wotan hat auch mal als Axolotl angefangen. Dennoch, auch wenn mich in erster Linie die formale Seite der Malerei interessiert, gibt es da natürlich auch eine enge emotionale Verbindung zu den Inhalten und Titeln. Die letzten Blumen, die Florette Lynn ihrer Freundin Eva Hesse ins Krankenhaus brachte waren Magnolien, und ein Axolotl sieht nicht nur Klasse aus, sondern ist auch eine zoologische Sensation, als Wiederentdeckung – wie das in der Kunst nicht anders ist.

In deinem Werk gibt es eine Bewegung der Farbe, aktuell von Gold und Schwarz zum Blau hin. Wie kommt es zu der Entscheidung für eine bestimmte Farbe?

Die ersten Magnolien waren bunt. Da wollte ich wissen, wie sich das mehr oder weniger immer gleiche Motiv mit den unterschiedlichen Farben ändert, Kontrastuntersuchungen und so. Die erste schwarze Magnolie war das Ergebnis einer Verzweiflungstat. Eine bunte Magnolie wollte nicht gelingen, es war schon ziemlich viel Farbe auf der Leinwand und ich war kurz davor es zu versemmeln. Zum Schluss habe ich all meine Farbreste auf das Bild gekippt und dann den flüssigen Brei durchgeschüttelt. Nachdem es trocken war, konnte man die Struktur der Magnolienblüte immer noch erkennen und es sah verdammt gut aus. Schwarz hatte mich ab da gefangen genommen. Das musste ich genauer untersuchen. Es gab später das Übergangsbild Dornröschen, ein Unterwasserbild wie die Undine, allerdings nur mit Schwarztönen und Silbervarianten. Irgendwann war das nicht mehr ergiebig. Diese Zitrone war erstmal ausgequetscht. Das Extremste ist sicherlich Black Black Beauty aus der Serie Nine Gold, ein unfotografierbares Bild mit tausend Gesichtern. Bei einem anderen schwarzen Bild, Back to Black war Amy Winehouse fast ein halbes Jahr in meinem Atelier zu Gast.

Warum das Gold?

Gold war im Sonderangebot bei meinem Farbenhändler. Ich hatte damals ein Atelierstipendium in Stuttgart. Gold ist genauso stark wie Schwarz und auch sehr inhaltlich aufgeladen. Dazu haben beide Farben, wenn man sie glänzend einsetzt eine hohe materielle Eigendynamik. Die Gold-Schwarz Kombination hat mich über ein Jahr beschäftigt und letztlich zur pinsellosen Malerei geführt, also einer Malerei, bei der ein Pinselstrich, als Geste oder Repräsentanz des Malers, nicht mehr sichtbar ist. Für Blau-Weiß in den aktuellen Bildern war Google-Earth verantwortlich. Eis und schneebedeckte Landschaften, die direkt in ins Meer stoßen. Ich kannte das auch aus meiner Flugschule in Kanada, nur war ich dabei nie so hoch oben. Kandinsky hat das perfekt beschrieben: „Je tiefer das Blau desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem.“ Und wie gesagt, nach dem Blick von oben auf die Welt ging es mit Neptun unter Wasser.

Ist Sehnsucht nach Weite, Tiefe ein Motiv, das Deine Arbeit antreibt, bzw. dass in Deinen Bildern eine Rolle spielt?

Es gibt nur eine Sehnsucht nach dem perfekten Bild und bei mir ist das die Frage, wann ich aufhören muss. Erkenne ich den richtigen Moment oder male ich das Bild zu Tode.

In welchem Verhältnis stehen Komposition und Zufall in Deiner Arbeitsweise?

Es sind immer Anregungen von außen, Fotos meistens oder Luftbilder beim Fliegen. Bildveränderungen beim Fliegen sind sehr langsam, sie brennen sich ins Gedächtnis. Natürlich benutze ich Verfahren, die einen Anteil Zufälligkeit haben, wie wenn zum Beispiel sehr flüssige Farben ineinander laufen. Aber das kann ich steuern. Komposition ergibt sich beim Malen. Ich beginne mit einer ganz groben Kreidezeichnung auf der Leinwand wie bei den Magnolien, da lege ich ein Zentrum fest. Von dort aus entwickelt sich das Bild. Jedes Bild hat bestimmt hundert Zustände. Meine Partnerin ist immer frustriert, wenn ihr ein Bild sehr gefällt und eine Woche später ist dieses Bild ein anders.

Du hast Deinen Arbeitsprozess mal als „Malen als ständiges modellieren mit der Farbe“ beschrieben. Dennoch geben Deine Titel Hinweise auf Figuren und Themen. In wie fern spielt es für Dich eine Rolle, dass Deine Bilder einen Rest Figuration enthalten?

Der Titel im Kopf, die Fantasien von Motiven sind ja der Anlass für mich zu malen. Ich brauche genau diese Vorstellungsbilder. Dabei geht es mir nicht um den realen Gegenstand, sondern um Strukturen der Malerei. Wenn am Schluss in Verbindung mit dem Titel für den Betrachter eine Erkennbarkeit entsteht, ist das sehr in Ordnung.

Man kann in Deinen Arbeiten eine Art Kosmologie erahnen, zum Beispiel in den Titeln, die mit Neptun auf eine Unterwassermythologie verweisen. Wie würdest Du diese Kosmologie beschreiben?

Ich bediene mich Überlieferungen, sie sind wie die Fotografien historischer Vorlagen, die als Geschichten ein Kopfkino auslösen können. Elemente wie Wasser und Luft sind Daseinsgrundlagen, die immer mitschwingen. Neptun, auch Gott der fließenden Gewässer, ist ja in gewisser Weise der Schutzpatron für meine Malweise.

Wie bist Du auf Neptun und das Meer gekommen?

Der erste traurige Neptun war eigentlich ein Bild aus der Sealands Serie. Aber je länger ich das Bild angeschaut habe, hat sich dieser kleine jämmerlich traurige Kerl in den Vordergrund gebeamt. Da hatte ich eine neue Aufgabe und bin aus der Luft unters Wasser.

Warum eigentlich Neptun traurig?

Manchmal sind halt auch Künstler traurig.

Es gibt von Jimi Hendrix den Song Valleys of Neptune. In dem heißt es unter anderem: „Singing about the New Valleys of the Sunrise ... Rainbow clean, the world is gonna be … Singing about getting ready for the new tide … The Valleys of Neptune is arising.” Die Unterwasserwelt als Utopie oder Quell einer neuen Ordnung – ist das auch ein Motiv deiner Kunst?

Hendrix war vor meiner Zeit, komponierter Rausch, aber sicher auch traurig, sonst hätte er nicht den Club 27 gegründet, aber da bin schon drüber hinaus. Außerdem will ich fliegen. Bestimmt hat jeder so seine Ideen über Himmel und ganz tiefe Meere oder Täler. Sonst hätten wir keine Songs und keine Bilder.

Deine Malerei wirkt auf den ersten Blick hermetisch. Inwiefern ist sie dennoch eine Reaktion auf die „Wirklichkeit“?

Naja, wenn man sieht, wie sich vermutlich eine Millionen Tonnen Rohöl im Golf von Mexiko ausbreiten, als work in progress so zu sagen, immer in Veränderung, täglich größer werdend, dann ist man schon mitten in der Wirklichkeit.

Du hast über deine Arbeit gesagt sie ist wie „Malen im Niemandsland der Unsichtbarkeit“. Was meinst Du damit?

Shut your eyes and see! Das meint den Augenblick in meiner Malerei, wo die Farben extrem flüssig wie ein Farbsee auf der Leinwand liegen. Im kontrastlosen Schwarz mit anderen dunklen Farben, siehst Du nicht mehr was da passiert. Ich kann zwar das Ineinanderlaufen der Farben beeinflussen, aber sichtbar wird das erst nachdem die Farben abgetrocknet sind. Alle meine Bilder haben eine gemeinsame Überschrift: appear and disappear.