PAT ROSENMEIER
 

In das Niemandsland des Unsichtbaren blicken
Überlegungen zu Pat Rosenmeiers schwarzen und goldenen Bildern

Jede Wahrnehmung ist auch Denken,
jede logische Schlussfolgerung ist auch Intuition
und jede Beobachtung ist auch Erfindung

Rudolf Arnheim

Dädalus ist nicht nur eine der bekanntesten Gestalten der griechischen Mythologie, er galt auch als herausragender Baumeister und vor allem als einer der besten Künstler seiner Zeit. Bekannter wurde er jedoch zunächst für sein Erfindungsreichtum, der ihm dabei half die Schwerkraft zu überwinden; dies war nötig geworden, als er zusammen mit seinem Sohn Ikarus in einem Turm gefangen gehalten wurde. So baute er aus Vogelfedern und Kerzenwachs tragfähige Flügel, mit deren Hilfe sein Sohn und er sich in die Lüfte schwingen konnten. Die Geschichte die folgt ist bekannt; der jugendliche Übermut von Ikarus rächt sich, denn die Sonne bringt die Flügel zum Schmelzen und er stürzt – ohne dass sein Vater ihm helfen konnte – ins Meer (i). Interessant ist daran nicht nur die Tragik einer teils geglückten, teils missglückten Geschichte einer Befreiung, sondern vor allem die Überwindung räumlicher Grenzen durch den Wagemut eines einzelnen Künstlers.
Die Frage könnte nun lauten, ob seit Dädalus die Aufgabe des Künstlers eventuell primär in der Überwindung tradierter Raumgefüge liege? Eine Überwindung, die man auf den tatsächlichen Raum, den politischen Raum und nicht zuletzt auf den sozialen Raum anwenden könnte. Die davon abgeleitete These lautet: Die Überwindung von persönlichen Limitationen in der Kunst mündet ausnahmslos in dem Versuch der Befreiung von räumlichen Zwängen, die in Dädalus ihren künstlerischen Ahnherren hat.
So bezogen sich immer wieder die verschiedensten Künstler und Literaten auf diesen Mythos und so gab James Joyce in seinem Buch „Portrait des Künstlers als junger Mann“ seinen Protagonisten den Namen Dedalus (Dädalus). Auch dieser wandte sich, um seine persönliche Freiheit zu finden, den Künsten zu und verließ sein Land – wie Dädalus dies einst getan hatte. Später war es Mark Rothko, der im ersten Kapitel seiner Memoiren, das er „Portrait des Künstlers als Schwachkopf“ nannte, die Idee wieder aufgriff, um über die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft nachzudenken.
Bereits 1636 hatte sich Peter Paul Rubens dem Thema in einem Ölbild angenommen. Das kleinformatige Bild (ii) wird von den Farben Gold und Schwarz dominiert und zeigt besonders eindrucksvoll den Sturz des Ikarus. Das todbringende Meer ist nur mit groben Pinselstrichen vor Schwärze tosend dargestellt. Es ist bezeichnend wie gekonnt Rubens die Dramatik des Ereignisses und dessen fatale Konsequenzen durch die Wahl seiner Farben unterstützt. Die Schwärze der See zieht den Blick des Betrachters an und dieser fällt stellvertretend für Ikarus, das Ende der Geschichte vorwegnehmend, ins Meer. Gold und Schwarz sind Farben, die uns im Verlauf des Textes noch weiter beschäftigen werden.
Edmund Burke hat sich über die Wirkung der Schwärze etwa 100 Jahre nach Rubens Gedanken gemacht. Für ihn funktioniert das Schwarz im Bild wie ein Leerraum, der, sobald das Auge auf ihn trifft, eine Erschlaffung der Wahrnehmung bewirkt – eine Erschlaffung, von der das Auge sich erst in Anbetracht einer bunten Farbe durch einen krampfartigen Ruck erholt (iii). Er vergleicht diese Erschlaffung des Auges mit dem Schlaf, der uns durch die Erschlaffung der Glieder übermannt – ein Zustand der von den meisten Menschen nicht von ungefähr wie ein Fallen empfunden wird. Schwarz wäre demnach die Farbe, die sich dem kritischen Blick des Betrachters raffiniert entzieht, ihn geradezu abschüttelt und den Betrachter im freien Fall mit sich reißt.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde Schwarz zur Theorie- und Denkfarbe und es wundert daher kaum, dass Kasimir Malewitsch mit seinem „Schwarzen Quadrat“ von 1913 nicht nur die alte europäische Kultur zu überwinden trachtete, sondern wie er meinte, den Nullpunkt der Malerei gefunden zu haben glaubte. Diesen Ansatz entwickelten nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertreter des amerikanischen Abstrakten Expressionismus weiter (iv). Auch später schufen so unterschiedlich arbeitende Maler wie Mark Rothko, Clyfford Still, Robert Rauschenberg, Frank Stella, Barnett Newman oder Ad Reinhardt jeweils „Schwarze Bilder“ (v). Auch das Gold, das im Falle des beschriebenen Rubens Bildes eine wichtige Funktion im Bild hat, wurde immer wieder thematisiert. Judds golden anmutende Kuben, oder James Lee Byars geradezu obsessive Feier des Goldes können hierfür zitiert werden.

Vor dieser gigantischen Kulisse der Kunstgeschichte malt die Künstlerin Pat Rosenmeier mit erstaunlicher Unbeirrtheit ihre großformatigen Gemälde, fast ausnahmslos schwarze und goldene Magnolien, geheimnisvolle Meerestiefen, Küsten oder Inseln. Der Begriff der Abbildung ist jedoch bereits irreführend und die erste von vielen ausgelegten Fallen. Die Magnolie ist bei Rosenmeier nie das Thema des Bildes – anders als bei Georgia O’Keeffe, die in ihren Bildern neben der Befreiung aus dem Gefängnis von Abstraktion und Realismus, durchaus auch die Schönheit der Natur feierte. Bei Rosenmeier wird jedoch nicht die Magnolie dargestellt, sondern es wird vielmehr eine widersprüchliche, malerische Bewegung offenbart; ein gleichzeitiges nach Vorne stoßen und ein Zurückdrängen, ein selbstbewusstes Hin zum Motiv und scheues Weg vom Motiv. Die Magnolie selbst ist dabei geradezu beliebig, es hätte nach Auskunft der Künstlerin jede andere Pflanze, oder jedes andere Objekt sein können. Ihr reiche es zu wissen, an was sie arbeite (vi), oder anders formuliert, ihr scheint zu genügen zu wissen von welchem Motiv sie sich gerade soweit entfernt, dass am Ende wenigstens noch eine Ahnung, ein Schimmer oder eine Anmutung von Magnolienhaftigkeit übrig bleibt.
Es scheint, als wolle sie die These ihrer Vorgängerin Agnes Martin belegen, die einmal sagte, dass wirklich alles ohne Repräsentation gemalt werden kann (vii). In „Nine Gold“ ihrer jüngsten Serie, bestehend aus sieben goldenen und einem fast gänzlich schwarzen Bild zeigt Pat Rosenmeier dies in der ganzen Bandbreite der malerischen Möglichkeiten. Sie malt zuweilen fast monochrom, wie in „Black Black Beauty“ und seinem goldenen Gegenstück „Blind Spot“, lässt dann die Farben zu netzartigen Verästelungen verlaufen, wie bei den Myzel untertitelten Bildern und folgt im anderen Fall einer Realismus Assoziation, wie bei „Mars“, „Dust Devil“ oder „Späher“. Abgesehen von der Magnolie haben diese Bilder jedoch etwas viel wichtigeres gemeinsam; sie entziehen sich oftmals einer objektiven Beschreibbarkeit – zu kleinteilig sind die „malerischen Sensationen auf Bierdeckelgröße“ (viii). Diese Tatsache hängt sicher mit der Unfotografierbarkeit zusammen, denn da wo Farbkrater, Überlagerungen und Schlieren die ganze Dramatik des Bildes bestimmen, kann die Fotografie, die von jeher alles Malerische einebnet, nicht mehr mithalten.
Es geht in der Malerei von Pat Rosenmeier somit wohl immer auch um den unvermeidbaren Bildverlust innerhalb einer digitalen Bildökonomie und damit einhergehend, um die generelle Unmöglichkeit von den Bildern zu sprechen. Ihre zeigen die Eigenheit der Malerei, die von keinem anderen künstlerischen Medium bisher erreicht wurde, die darin begründet liegt gleichzeitig etwas zu zeigen und dabei noch viel mehr zu verbergen. Dass es nicht um die Magnolie geht hat man mittlerweile begriffen – es geht zunächst um das Malen selbst und sobald man das Bild auf den neugierigen Betrachter treffen lässt, geht es um das wohl Spannendste; nämlich um die Frage, was wir sehen, wenn wir auf Kunst schauen.

In ihren Bildern liegt die Verführung zum neugierigen Schauen, zum Entdecken und zum Spazierengehen mit Blicken; oder kurz gesagt: das ganze Versprechen der Malerei. Noch nicht geklärt ist bisher die Frage, aus welchem Grund sie dieses Versprechen in Schwarz und Gold ausformuliert? Woher kommt diese beständige Untersuchung dieser beiden so unterschiedlichen Farben? Ruft man sich noch einmal den „Sturz des Ikarus“ von Rubens ins Gedächtnis, so prallen dort beide Farbsysteme in ähnlicher Weise aufeinander, wie in „Golden Magnolia #11 (Vertical)“ aus dem Jahr 2009. Während bei Rubens die Farbe noch ganz selbstverständlich dem Inhalt des Bildes zu Diensten war, hat sie sich bei Rosenmeier fast gänzlich vom Motiv gelöst. Sie ist autonom und scheint plötzlich selbst eine Stimme bekommen zu haben. Die Farbe spricht, und was sie einem zu berichten hat erzählt von Rubens, von Malewitsch, von Burke und somit auch vom Fallen in das Bild. Das Schwarz der Magnolie wird vom Gold eingerahmt, wie von einer Aureole und der Blick, der ansonsten ins Bild zu stürzen droht, findet Halt am Gold. Burke hätte argumentiert, dass das Gold, als göttliche Farbe und als Steigerung der Lichtfarbe Weiß dem Schwarz als Farbe der tiefen Nacht komplementär gegenüber steht. Fallen und Schweben, Himmel und Erde – durch keine anderen Farben könnten die elementarsten Gegensätze besser auf den Punkt gebracht werden. Gold und Schwarz geben einer aus den Fugen geratenen Welt das Gleichgewicht zurück indem sie ihre Grundspannung offenbart.

Etwas, das die Gemälde Rosenmeiers genauso bestimmt, wie die gewählten Farben, ist die starke Vertikalität, die den Bildern einen unleugbaren vogelperspektivischen Charakter verleiht. Betrachtet man die Bilder, so drängen sich intuitiv Assoziationen von Luftaufnahmen von Flüssen, Gebirgen oder Wüstenlandschaften auf, die fast schon reflexhaft an die Google-Earth Ästhetik denken lassen. Dass die Künstlerin seit ihrem 16 Lebensjahr aktive Pilotin ist, sei hier nur am Rande erwähnt. Was viel dringender erscheint, ist die logische Konsequenz, mit der die junge Malerin eine Raumwahrnehmung aufgreift, die von den objektiven Kameraaufnahmen aus dem Weltall geprägt ist und an eine vollkommene, wissenschaftliche Fassbarkeit von der Welt glaubt. Diesem allgemeinen Glauben erteilen ihre Bildlandschaften, die wie gemalte Landkarten einer fiktiven irrealen Welt anmuten, eine klare Absage. Ihr gelingt es dem „Blick von Oben“ seine Unschuld zurückzugeben und von einer Allmachtphantasie zu befreien, der ihm von der immer professionelleren Luftbildfotografie gegeben wurde. Zu Beginn, als die Luftfahrt noch ein neues Phänomen war, schuf die neue Technik noch vollkommen ungewohnte Bilder, die ein Interpretationsproblem mit sich brachten. Der Blick musste erst noch geschärft werden, um in den Aufnahmen mehr als nur abstrakte Muster sehen zu können (ix). Die Künstler des Futurismus und Suprematismus positionierten sich schnell an der Spitze der neuen Sichtweise auf die Welt und griffen die neue Raumordnung für ihre Zwecke dankbar auf. Es entstanden Bilder wie Malewichs „Aeroplane Flying“ (x) von 1915, die die Möglichkeiten einer neuen Kunst vorwegnahmen und der Kunstgeschichte, als Repräsentant einer alten Raumvorstellung, offensiv den Rücken kehrten. Es fand eine Raumrevolution statt, die nicht nur Architekturverständnis und Kriegsplanung erfasste, sondern auch künstlerische Konzepte und Sichtweisen radikal umwertete. Pollocks Drippings sind vor diesem Hintergrund genauso als Versuch zu werten, die neue Raumkonzeption in die Malerei zu übertragen, wie Rothkos Feier der horizontalen Raumordnung als Beharrungsversuch einer alten Ordnung. Heute im Zeitalter der weltweiten medialen Vernetzung sind diese Probleme sekundär geworden. Wir brauchen uns nicht mehr in dem Maße durch den realen Raum zu bewegen (xi) und Rosenmeiers Blick von Oben ist deshalb auch ein anderer. Ihr Blick ist weniger dogmatisch, sie offenbart vielmehr malerische Geheimnisse, die sie auf der Leinwand miteinander vereint.
Neben Rubens gibt es einen zeitgenössischen Künstler dessen durchkomponierte Bilder in vielen Punkten zu Pat Rosenmeier passen – gemeint ist Andreas Gursky. Auch er liebt den Blick von Oben und er geht sogar noch weiter, wenn er sagt, dass er manchmal das Gefühl habe „mit dem Blick eines außerplanetarischen Wesens durch den Sucher zu schauen.“ (xii) Er bringt damit eine alte Fotografenfaszination zum Ausdruck, die davon ausging, dass der Blick von Oben das künstlerische Individuum befreit und zu neuen, unverbrauchten und im positiven Sinne ahistorischen Ideen bringt. Wie Rosenmaier erzählt auch Andreas Gursky keine Geschichten, sondern zeigt Masterbilder, die eine idealtypische Annäherung an alltägliche Phänomene zeigen. Während Gursky an seiner „Enzyklopädie des Lebens“ arbeitet und dazu medial-kontaminierte Orte wie Formel1-Rennbahnen, Supermärkte, Börsen und sogar Nordkorea fotografisch durchdringt, nimmt sich Rosenmeier die Malereigeschichte vor und seziert ihr Repertoire im Bild. Der Vergleich mit Gursky drängt zu der Frage, ob Rosenmeiers Malerei etwa als Kampfansage an die Fotografie zu verstehen ist? Die Vorstellung von Raum und Welt wurde sicher durch die Fotografie nachhaltig geprägt, wodurch die bildende Kunst zu Darstellungen und Gegendarstellungen provoziert wurde (xiii). Rosenmeiers Bilder sind darum weniger eine Kampfansage als vielmehr eine Gegendarstellung. Dort wo sich, wie in Golden Magnolia #1 verwirbelte Überlagerungen mit gewagten Drippings abwechseln, wo sich das Malerische in der reinen Andeutung von Dichte selbst genügt und das Bild seinen eigenen Rhythmus entwickelt, zeigt sich aufs eindrücklichste, was die ureigene künstlerische Qualität ihrer Malerei ausmacht. In „Golden Magnolia #6, Mycel“ aus dem Jahr 2009 überträgt sich die Dramatik unzähliger Bildentscheidungen auf den Betrachter. Im Wirbel aus Schwarz und Gold meint man den Sturz des Ikarus förmlich vor sich zu sehen, wenn der Blick ungebremst hinein in die schwarzen Stellen fällt, um sich sogleich in der verführerischen Attraktion der Malerei zu verfangen. Die Gemälde von Pat Rosenmeier machen den Betrachter zu einem zeitgenössischen Ikarus, der in seinem Sturz ins Bild durch die waghalsigen Drippings, die feinen Überlagerungen und die delikate Malweise – kurz: durch die Vielschichtigkeit der malerischen Sensationen – aufgefangen und gehalten wird.

Frank-Thorsten Moll

 

i Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Daidalos

ii Peter Paul Rubens, Der Sturz des Ikarus ,1636, Öl auf Holz, 27 x 27 cm, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

iii Edmund Burke, Vom Erhabenen und Schönen – Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, Übers. Aus dem Englischen von Friedrich Bassenge. Berlin 1956 [Orig. veröffentlicht 1756] Kapitel 17: Die Wirkungen der Schwärze.

iv Caroline Käding, Herz der Finsternis. Monochromie und Bildhaftigkeit in schwarzer Malerei, in: dies. Et all., Back to Black, Schwarz in der aktuellen Malerei, 2008, S. 164-171, hier S.65 Käding, 2008, S.166

v Vgl. Interview mit Veit Görner, auf:
http://www.patrosenmeier.com/ger/int-d.html

vi im Original sagte sie: „Anything can be painted without representation.“,

vii Vgl. Agnes Martin, Writings / Schriften, hrsg. von Dieter Schwarz, Ostfildern, 1998, S. 37.

viii Veit Görner, Abstrakter Realismus - Die Bilder von Pat Rosenmeier, 2007, im Internet veröffentlicht unter
http://www.patrosenmeier.com/ger/tex-d.html

ix Vgl. Asendorf, Super Constellation, Flugzeug und Raumrevolution. Die Wirkung der Luftfahrt auf Kunst und Kultur der Moderne, 1997, S. 36

x Kasimir Malevich, Suprematist Painting: Aeroplane Flying, 1915, Öl auf Leinwand, 57.3 x 48.3 cm, The Museum of Modern Art, New York

xi Vgl. Schleusen und Dämme, Christoph Asendorf im Gespräch mit Michael Albert Islinger und Katja Schrul, Weimar, 17. Juli 1998

xii Frank Nicolaus, Andreas Gursky – Reporter des Weltgeistes, www.stern.de, vom 26.02.2007, nachzulesen unter:
http://www.stern.de/fotografie/andreas-gursky-reporter-des-weltgeistes-583212.html

xiii Michael Diers, Grauwerte – Farbe als Argument und Dokument, in: ders., FotografieFilmVideo – Beiträge zu einer kritischen Theorie des Bildes, 2006, S.52-83, S.60