PAT ROSENMEIER

 

Abstrakter Realismus - Die Bilder von Pat Rosenmeier

Weiße Magnolien waren die letzten Blumen, die Florette Lynn ihrer Freundin Eva Hesse kurz vor ihrem Tod ins Krankenhaus brachte und Magnolien sind die ersten Bilder, die uns Pat Rosenmeier zeigt. Es geht nicht um Magnolien oder eine verdeckte Hommage an Eva Hesse.
Die sähe anders aus. Natürlich gibt es auch eine White Magnolia, aber ebenso eine Black Magnolia, eine Urban, eine Hurricane, eine Frozen, eine Pale oder eine Boisterous Magnolia. Pat Rosenmeier ist Malerin. Und die Variationen über die Magnolie sind nur immer neue malerische Fragestellungen, die sie zu beantworten versucht. Auf jeden Fall sind es Bilder, die sich nicht so ohne weiteres reproduzieren lassen. Sie sind zu groß für das, was sie an kleinstteiliger Malerei bieten. Malerische Sensationen auf Bierdeckelgröße gehen bei Bildergrößen ab zweieinhalb Quadratmeter über die technischen Möglichkeiten der Reproduzierbarkeit für Bierdeckelgrößen hinaus. Keine guten Aussichten für Katalogabbildungen oder Einladungen. Datenverlust-Schauverlust. Nie habe ich eine größere Diskrepanz zwischen Original und Reproduktion feststellen können. Walter Benjamin würde das bestätigen.

Es war immer eine der größten Herausforderungen der Malerei, eine Werkmächtigkeit zu entfalten, die ihr durch kein anders Medium konkurriert werden konnte, bis heute. Ad Reinhards schwarze Bilder (auch seine wenigen weißen) haben sich ganz entschieden einer fotografischen Reproduktion in den Weg stellen wollen, zu einer Zeit, als jüngere, kämpferische Träumer mit fotorealistischer Malerei den Wettstreit gegen die Kamera gewinnen wollten. Franz Gertsch, Chuck Close und selbst der Techniker Richard Estes. Warhol war klüger. Er „malte“ seine Bilder mit Reproduktionsverfahren *[1] oder pinkelnden Prominenten *[2].

Den MalerMaler interessiert im Gegensatz zum Geschichtenerzähler oder Wirklichkeitsinterpreten *[3] die Gegenständlichkeit nur am Rande. Sie ist ihm im besten Falle Inspiration, Motivation oder einfach nur der Grund, einen Pinsel in die Hand zu nehmen und damit Farbe auf irgendeinem Grund zu verteilen.

Pat Rosenmeiers Magnolia war ein Geschenk ihrer besten Freundin zum 26. Geburtstag und so eine kleine, aber ausreichend große Lust, das Gefühl dieses Moments, dieses herzlichen Geschenks, zu bewahren. Als Zeichnung, als Aquarell. Längst war die Magnolie verblüht, eine helle, fast weiße, nicht die dunkelviolette, die Zeit versetzt einige Wochen später blüht, und es blieb ein Aquarell an prominenter Stelle, täglich sichtbar, täglich erinnernd. Rosenmeier wählte die Geburtstagserinnerung schließlich als Bildmotiv für ihre malerische Forschung. Eingescannt, auf die Leinwand projeziert, um in groben Strichen eine nährungsgenaue Formschablone zu skizzieren. Sekundenarbeit. Ein Grund Farbe auf der Leinwand zu verteilen.

Während ihrer Akademiezeit hatte sie sich mit der Farbkantenmalerei beschäftigt. Mit Sarah Morris und Garry Hume, den fast noch Zeitgenossen. Abkleben oder Farben trocken, freihändig aneinander setzen. Malerische Verfahren, die schon früher die Hard Edge Maler oder die Konkreten beschäftigt hatten. Barnett Newman, Josef Albers, Max Bill oder Richard Paul Lohse. Ideen über die Simulation von genauer Trennschärfe oder Übungen zur technisch genauen Trennschärfe. Immer noch umschmeichelt vom Auge des fern stehenden Betrachters. Doch was entblößt die Nähe noch vor der Lupe? Farbe läuft unter das Klebeband, die Hand zittert. Schöne Theorie. Fern- und Nahsicht sind schon vielen Malern zum Verhängnis geworden. Wirkung und Präzision. Davon können Drucker, die durch den Fadenzähler auf ihre Andrucke blicken, ein Lied singen. Für diese künstlerischen Experimente über Farbrasterpunkte hatte die Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Pointilitsen und später, als Alles größer wurde, Roy Lichtenstein und den frühen Sigmar Polke abkommandiert.

Was bei den „Pünktchen-Malern“ noch miniziöse Handarbeit war, geriet bei den Dekalkomanisten oder Frotagisten, wie in ihrem ersten und besten Vertreter Max Ernst, oder den Leinwandaquarellisten, wie Sam Francis und Paul Jenkins, in den Bann der gesteuerten Zufälligkeit.
Es war die Bedeutung des Zufalls, zeitgleich mit der Entdeckung der Relativitätstheorie durch Einstein und der Psychoanalyse durch Freud, die in den 1910er Jahren als künstlerisches Gestaltungsmittel, als Möglichkeit entdeckt und für die Kunst vereinnahmt wurde. Varianz als Zustand.
Jean Arps zufällig gefallene Papierschnipsel, zur Bildcollage verklebt, Man Rays Dunkelkammerexperimente oder Duchamps radikal selbstgestalterische Arbeit Le Readymade malheureux, 1919 waren nur der Anfang für eine radikale Erweiterung des Kunstbegriffs im 20. Jahrhundert. Dem Zufall folgte die Improvisation, die Aktion, die Performance und später, der „Betrachter als Akteur“.

Max Ernst jedenfalls wollte bildnerisch Mikrostrukturen erzeugen, die Erinnerungen evozieren konnten, die aber nicht malbar waren. Die Entdeckung der Durchreibetechnik, der Frottage, war für ihn eine glückliche Lösung. Die Fußbodendielen seines Notateliers in einem Hotelzimmer im französischen Pornic, lieferten perfekte surrealistische Landschaften, Wälder, Blumen, Himmel oder Vögel und erdene Gründe *[4].
Die ganze Stadt, 1936 und mehr noch Europa nach dem Regen II, 1936/37 haben solche geheimnisvollen Strukturen. An Rosenmeiers Black Magnolia '1, 2006 hätte er seine Freude gehabt (und seine technischen Fragezeichen). Die Vorstellung Wirklichkeit abzubilden, nicht nur rauschhaft, traumhaft zu assoziieren, wie bei Ernst, steckt dagegen in den Bildern von Pat Rosenmeier. Eine ganz entscheidende Seherfahrung muss sie wohl mit den Wenigsten teilen. Als ausgebildete Pilotin sieht sie die Welt von oben. Die Google-Earth Welt ist nur eine schwache Vorstellung darüber. Wie ein Flussdelta in ein Meer mündet, wabernd sich ausbreitend, verschmelzend. Sie kennt die Baumkronenlandschaften Kanadas oder des Amazonas. Die feinadrigen Spuren von Gewässern oder Straßen. Sie kennt aber auch die Wüsten oder die arktischen Schollen. Der Blick von oben ist ein anderer. Und sie kann die Höhen definieieren, den Abstand und damit den Grad der Abstraktion. Wie werden daraus Bilder, Malerei?

Morris Louis schaute auf Barnett Newman, den theoretischen Puristen unter den amerikanischen Malern. Erst einmal die Farben trennen, auch die Grenze definieren, entscheiden, wie die Demarkationslinie an und zwischen den Farben aussehen musste. Anstoßen oder Vereinzeln, Isolieren.
Louis entschied sich für fließende Kanten. Paul Jenkins und Sam Francis schauten auf Louis und Jackson Pollock. Jenkins entschied sich für eine beeinflussbare Zufallslösung, Wols hatte ihn in Paris stark beeindruckt. Die Leinwand als Aquarell, Farben so aufzubereiten, nass in nass, dass sie kontrolliert ineinander fließen konnten. Fließende Veränderungen, wie bei aufquellenden Wolken am Himmel. Die Meisterschaft bestand darin, den Automatismus der nassen Farbverläufe möglichst kontrolliert steuern zu können. Sam Francis hat bei Jackson Pollock aufgepasst und dessen „Drippings“ aquarelliert.

Pat Rosenmeier scheint es hier in jungen Jahren bereits zu einer bemerkenswerten Analyse gebracht zu haben. Sie kennt die Fragen und Verfahren der Urgroßväter, dazu die Rakeltechnik von Richter und sie hat mit den Farbrinnsalen, wie bei Urban -, Snotty - oder Hurricane Magnolia eine weitere Variante der aktiven, zufallsbelastenden Malerei entwickelt, die sie souverän in Anwendung bringt. Oft gleichen ihre Bilder den Straßenstrukturen amerikanischer Städte. Geordnete Strukturen aus senkrechten und waagrechten Linien, mit irrational erscheinenden Schrägen dazwischen, wie es das Manhatten bei Piet Mondrians Boogie Woogie nie hätte erlauben können *[5]. Rosenmeier zeigt Manhatten mit seinem schrägen Broadway *[6].

Kandinsky und auch Kupka sahen in der Abstraktion immer auch eine Möglichkeit der Transzendenzerfahrung. Bill und andere Konkrete sahen in der Abstraktion eine Objektivierung, eine Intersubjektivität der Kunst und speziell der Malerei. Pat Rosenmeier nutzt ihren abstrakten Realismus immer auch als Gefühlsbühne: malerisch, analytische Forschung als Möglichkeit, genauso wie gefühlsbetonte Kompensationsarbeit persönlicher Verletztheit.
Kunst machen als Katharsis wäre eine biografische Notiz für die Biografen, wenn überhaupt. Entscheidender ist vielmehr, dass hier eine junge Künstlerin mit einem sehr hohen Kenntnisstand tradierter Malereigeschichte agiert und offensichtlich dabei ist, mit einem Amalgam der Verfahren einen eigenen, neuen, aber zukunftsträchtigen Beitrag zu formulieren. „Wo stehst du mit deiner Kunst Kollege“, fragte einst Jörg Immendorff auf politische Inhaltlichkeit bezogen, „Wo stehst Du mit Deiner Malerei“ würde Pat Rosenmeier fragen, um die aktuelle Fragestellung eines der ältesten künstlerischen Verfahren zu stimulieren.

Veit Görner 07/2007

*[1] Warhol hatte den damals gerade bekannt gewordenen Siebdruck zu seinem zentralen Verfahren zur Bildgewinnung gemacht. Gefundene Zeitungsfotos oder Polaroid Vorlagen, bearbeitete und überarbeitete er im Siebdruck, um damit farbvariante, serielle Bilder zu produzieren.

*[2] Unter der Bezeichnung Oxidation Paintings schuf Warhol 1978 Bilder, die ihr zufälliges Aussehen durch die Oxidation von Farbe und Urin bekamen. Zur Gestaltung ließ er, ganz auf Sensation geeicht, Prominente wie Mick Jagger antreten.

*[3] Geschichtenerzähler können Realität und Phantasie zu Szenarien collagieren, um ein „literarisches“ Bild, oder einen bestimmten Inhalt zu illustrieren. Rendevous der Freunde, 1922 von Max Ernst zählt ebenso zu diesem Typus, wie Guttusos Café El Greco und das ihm gewidmete, mehrteilige Cafe Deutschland von Jörg Immendorff . Mark Tansey kann man anführen, ebenso wie Peter Doig oder Neo Rauch, bei denen jedoch das Erzählerische zu Gunsten der malerischen Komposition nachrangiger wird. Wirklichkeitsinterpreten dagegen speisen sich aus dem schier unendlichen Bildervorrat der Fotografie oder der bewegten Bilder. Der eine Teil von Gerhard Richter, Luc Tuymanns, zum Teil Wilhelm Sasnal oder Eberhard Havekost. Um nur einige exemplarisch zu nennen.

*[4] In seiner Schrift „Beyond Painting“ (zit. nach: Fischer, Lothar, Max Ernst, 1969, Reinbek bei Hamburg, S.73 ff) beschrieb Ernst die Entdeckung der Frottage als das malerische Äquivalent zum 'automatischen Schreiben' der Surrealisten, was die möglichst vollständige Aufgabe der kognitive Kontrolle forderte und dafür die zufallsgesteuerte Produktion anstrebte. Frei von der geschulten, gelehrten oder geschickten „Tatze“ des Produzenten. Intuition und freie Phantasie waren die Gestaltungsmittel. „Ich beschloß, die symbolischen Ausdrucksmöglichkeiten dieser zwingenden Kraft zu erproben; um meinen meditativen und halluzinatorischen Kräften zu helfen, machte ich eine Reihe von Zeichnungen der Dielen, und zwar legte ich Papierbogen darüber wie es gerade kam und rieb die Maserung mit weichem Bleistift durch.....und ich war überrascht von der plötzlichen Verstärkung meiner visionären Fähigkeiten und von der halluzinatorischen Folge von gegensätzlichen Bildern...“(S. 70) Ernst vervollkommnete diese Durchreibetechnik, bis sie ihm jede gewünschte Struktur für seinen 34-teiligen Zeichnungszyklus Histoire Naturell, 1926 liefern konnte. Danach übertrug er das Prinzip der Frottage als „Abklatschtechnik“ oder Dekalkomanie auf die Ölmalerei. Das erste so entstandene Bild war 100000 Tauben, 1927.

*[5] Mondrian „malte“ seine Manhatten Bilder mit farbigen Klebebändern, die er rechtwinklig auf der Leinwand aufklebte, um konkrete Strukturen und klare Kanten, wie durch den rationalen Stadtplan Manhattens inspiriert, zu formulieren.

*[6] Nicht mehr als eine Fußnote natürlich die Tatsache, dass der Broadway wie Mondrian holländische Wurzeln hat und sich aus dem Wort „Breiter Weg“ ableitet. Und sehr diagonal, wie keine andere Straße, das rationale Verkehrsnetz New Yorks durchkreuzt.